Eis anzapfen
Heizen mit Eis – bei Hunderten von Hausbesitzern in Deutschland ist das bereits Realität. Aber wie funktioniert die neue Technik und lohnt sich der Einbau wirklich?
Manchmal sitzt Familie Winkler abends am Kaminofen. Hinter der Scheibe glühen die Holzscheite, davor funkelt das romantische Feuer in den Augen des sechsjährigen Töchterchens Franziska. „Dann ist es bei uns so richtig gemütlich“, erzählt Mutter Karin, „der Holzofen ist für uns nämlich etwas ganz Besonderes – aber eigentlich bräuchten wir ihn gar nicht, wir haben schließlich Fußbodenheizung.“ Und auch die ist etwas „ganz Besonderes“ bei Familie Winkler aus Tettnang am Bodensee: „Wir heizen unsere Räume im Alltag weder mit Holz noch mit Gas oder Öl“, tut Familienvater Johannes Winkler ein wenig geheimnisvoll. Und dann erfahren wir von ihm, was es mit dem speziellen „Brennstoff“ für die Fußboden- heizung auf sich hat: „Wir heizen mit Sonnenkraft, Luftwärme … und mit Eis!“ Mit Eis? Ja, richtig gelesen …
Das greenhome Magazin hat bereits in einer früheren Ausgabe darüber berichtet: Damals gehörten die Winklers zu den ersten Besitzern der sogenannten Eisheizung – einer Erfindung der Firma Isocal aus Friedrichshafen. Die wichtigsten Komponenten: ein unterirdischer Wassertank, ein Sonnenkollektor und eine Wärmepumpe. Inzwischen sind fast 500 solcher SolarEis-Systeme in deutschen Ein- und Mehrfamilienhäusern im Einsatz. Welche Erfahrungen haben Familie Winkler und andere Hausbesitzer unterdessen mit dieser innovativen Technik gemacht?
Szenenwechsel: Troisdorf bei Köln. Hier lebt Familie Ünlü. Auch sie hat eine Fußbodenheizung. Und sogar zwei Eisspeicher: „Einen für das Haus mit seinen 280 Quadratmetern – und einen für unseren Swimmingpool“, erzählt Haci Ünlü stolz. Der Bauunternehmer, seine Frau Edite und seine beiden Töchter Selin und Pelin heizen bereits den zweiten Winter mit Eis. Haci Ünlü: „Wir zahlen im Jahr rund fünf Euro pro Quadratmeter für Heizung und Warmwasser.“
Mit einer herkömmlichen Gas- oder Ölheizung bekämen die Ünlüs ihr Zuhause damit vielleicht zwei bis drei Monate warm. Wie kann das sein? Das Geheimnis liegt in den winzigen Kristallen von gefrierendem Wasser im unterirdischen Eisspeichertank. Eis als Energiequelle? „Genau darum geht es“, erklärt uns Heiko Lüdemann, Geschäftsführer von Isocal, „wenn Wasser zu Eis gefriert, sich also zu Kristallen verfestigt und somit eine andere körperliche Dichte annimmt, wird Energie freigesetzt. Dabei ist die Menge an Energie, die beim Gefrierprozess frei wird, erstaunlich groß. Sie entspricht der gleichen Energiemenge, die man benötigt, um Wasser von 80 Grad Celsius auf null Grad herunterzukühlen.“ Forscher bezeichnen diesen Effekt als Kristallisationswärme. Mithilfe von Wärmetauschern, wie wir sie auch von unserem Kühlschrank her kennen, kann diese Kristallisationswärme in Heizwärme verwandelt und an Räume abgegeben werden. Der Unterschied: Beim Kühlschrank wird Wärme in Kälte verwandelt, beim Heizen ist es umgekehrt.
Energie mit Sprengkraft
Doch wenn es so einfach ist: Warum haben wir dann noch nicht alle eine solche Eisheizung anstelle von Gas-, Öl- oder Holzkesseln? „Tatsächlich haben Ingenieure das Prinzip schon seit vielen Jahren erkannt und hätten es gern längst auch zur Anwendung gebracht“, räumt Heiko Lüdemann ein. Doch ganze Hochschulfakultäten scheiterten an einem Problem, das sich der Umsetzung beharrlich in den Weg stellte: die Sprengkraft des Eises. Der Erfinder der Eisheizung, Ingenieur Alexander von Rohr, erklärt: „Wenn wir ein Glas mit Wasser verschließen und in den Kühlschrank stellen, wird es früher oder später zerspringen. Der Grund: Wasser gefriert normalerweise von außen nach innen. Restwasser, das im Inneren verbleibt, sorgt dafür, dass sich das Eiswasser immer mehr ausdehnt – bis die Hülle platzt.“
Das von Alexander von Rohr gegründete Unternehmen Isocal (mittlerweile eine Tochtergesellschaft von Viessmann) konnte dieses Problem lösen, indem der Gefrierprozess mithilfe von Rohrleitungen nun vom Inneren und von unten des Behälters aus begonnen wird. Das Wasser im Eisspeicher gefriert also von innen nach außen – nicht umgekehrt. Aufgrund der nachströmenden Erdwärme und Anordnung des Regenerationswärmetauschers bleibt am Behälterrand immer ein Streifen Tauwasser zurück. Alexander von Rohr: „Damit ist die Sprengkraft des Eises erstmals zuverlässig beherrschbar. Und die Kristallisationswärme kann endlich auch zum Heizen genutzt werden.“
Heizen mit Eis
Für die Gebäudetechnik beginnt eine neue Ära: Im Winter sorgt der Eisspeicher selbst bei extremen Witterungsbedingungen für wohlige Wärme im Haus. Doch auch im Sommer bleibt das System nicht ungenutzt. Wer will, kann seine SolarEis-Anlage an heißen Tagen auch zur Klimatisierung nutzen. Während das Eis im unterirdischen Tank nach dem Ende der Heizperiode langsam auftaut, kühlt das Tauwasser überhitzte Räume. Hierfür wird lediglich eine kleine Umwälzpumpe benötigt, die Fußboden- oder Wandheizkörper mit angenehmer Frische versorgt. Das gab es in dieser Form zuvor noch nie: ein Heizsystem, das auf ganz natürliche Weise auch zur Raumklimatisierung beiträgt.
Doch zurück zur Heizfunktion: Wie arbeitet eine solche SolarEis-Heizung genau? Heiko Lüdemann: „Um die Kristallisationswärme aus dem Eisspeicher nutzen zu können, muss das Wasser im unterirdischen Tank erst einmal gefrieren. Dies geschieht, indem die Wärmepumpe dem Speicher Energie entzieht. Das damit erwärmte Heizwasser wird über entsprechende Leitungen ins Gebäudeinnere geführt.“ Eine wichtige Funktion übernimmt dabei ein spezieller SolarLuft-Kollektor auf dem Hausdach. Er fängt Energie aus Sonnenkraft und aus der Umgebungsluft ein.
Bei Temperaturen über 0 °C bezieht der Kollektor sogar bei Dunkelheit und Regen noch Wärme, die er an den Eisspeicher abgibt. Dort werden Sonne und Luft gewissermaßen „eingelagert“. Im Sommer wird die Energie vom Dach zusätzlich genutzt, um Brauchwasser zu erzeugen – im Winter bietet der Kollektor eine kräftige Heizunterstützung. Auch die natürliche Erdwärme trägt dazu bei, dass der Eisspeicher mit Energie versorgt wird. Heiko Lüdemann: „Die Energiequellen des Eisspeichersystems sind also ohnehin in der Natur vorhanden. Lediglich die Wärmpumpe benötigt elektrischen Strom.“
Soweit die Theorie. Doch wie zuverlässig und sparsam funktioniert das System in der Praxis? „Wir hatten seit dem Einbau unserer Eisheizung schon etliche recht kalte Wintertage, aber alle Räume waren immer ausreichend warm und bei uns hat noch keiner gefroren“, betont Johannes Winkler. Und das trotz der ungewöhnlich niedrigen Vorlauftemperatur: „Unsere Anlage kommt im Schnitt mit 30 °C Vorlauftemperatur aus, bei extremen Außentemperaturen sind es maximal 35 °C.“ Das reicht, um je nach Bedarf eine Raumtemperatur von 21 C° bis 23 C° zu erzeugen.“
Hightech im Verborgenen
Und so ist die Anlage für das 180-Quadratmeter-Haus von Familie Winkler ausgelegt: Zunächst ist da die Zisterne. Sie sieht aus wie ein kleiner dicker „Bunker“ und wurde in knapp vier Metern Tiefe im Garten vergraben. Nur der schwere Deckel schaut noch heraus. Im Inneren dieses Betonmantels befinden sich ungefähr 10 Kubikmeter normales Leitungswasser. Der Inhalt ist durch Dunkelheit und moderate Temperaturen vor Algen- und Bakterienbildung geschützt. Doch das Wasser im Tank kommt mit dem Grundwasser nicht in Berührung, weshalb keine besondere Genehmigung für die Installation erforderlich ist. Dann ist da der SolarLuft-Kollektor auf dem Garagendach. Er nimmt eine Fläche von etwa 20 Quadratmetern ein und ist über die Wärmepumpe im Keller des Hauses mit dem Eisspeicher verbunden. Die Wärmepumpe deckt mit einer Nennleistung von 7,2 kW den für das Haus errechneten Heizwärmebedarf vollständig ab. Damit jederzeit auch ausreichend Warmwasser zur Verfügung steht, wurde zudem ein 400-Liter-Pufferspeicher installiert.
Viel Potenzial
Ein extra Zähler misst den Stromverbrauch der SolarEis-Anlage. Im letzten Jahr waren das bei Winklers gerade einmal 3.600 kW. Kosten: rund 600 Euro – aufs Jahr umgerechnet rund 50 Euro pro Monat. Johannes Winkler: „Wir glauben, dass wir diesen Betrag sogar noch reduzieren können, indem wir alle energetischen Komponenten im Haus noch einmal überprüfen und optimieren lassen.“ Dazu gehört auch eine automatische Wohnraumbelüftung mit Wärmerückgewinnung: „Da lässt sich vielleicht noch etwas verbessern“, meint Ehefrau Karin. Bleibt die Frage: Wie rasch amortisiert sich das SolarEis-System? Der Aufwand ist zunächst etwas größer als die Installation eines gewöhnlichen Heizkessels.
Erdreich muss ausgehoben, der Betonspeicher eingebracht und konfektioniert werden. Hinzu kommen die Montage des Solarkollektors auf dem Dach und der Wärmepumpe im Heizungsraum. Jede Anlage wird individuell geplant und angepasst. Der damit verbundene Montageaufwand und die Kosten für Material und Technik erscheinen jedoch angesichts des außergewöhnlich großen Einsparpotenzials bei den laufenden Betriebskosten mehr als gerechtfertigt. Heiko Lüdemann: „Bei einem Einfamilienhaus amortisiert sich das SolarEis-System in der Regel bereits nach sechs bis sieben Jahren.“
Das klingt vielversprechend, zumal die Öl- und Gaspreise unaufhörlich in die Höhe klettern. Für die laufende Heizperiode rechnet der Deutsche Mieterbund mit einer weiteren Kostensteigerung von bis zu 22 Prozent. Das trifft auch Eigentümer hart. Wenn Familie Winkler im Winter abends gemütlich zusammensitzt oder Familie Ünlü sich im Sommer am beheizten Pool erholt.
Diesen Beitrage verfasste Uwe Herzog für das greenhome Magazin