Ich nehm mehr Lehm
Lehm sieht gut aus, ist vielfältig und gesund – so weit die schöne Theorie. Aber wie lässt sich der Werkstoff verarbeiten und kommt man als Laie damit zurecht? Marion Müller-Roth besuchte ein Seminar und erlebte das Gestalten mit Lehm hautnah.
Wölkchen tauchen den Hof in Böcke, einem idyllischen Nest in Potsdam Mittelmark, in ein Licht, das zwischen Pfeffer und Salz wechselt. Die Störche auf der benachbarten Kirchturmspitze, klappern, die Kaffeetassen sind leer, der Kuchen verspeist. „Dann machen wir uns mal an die Arbeit“, sagt Jens Schlüter und steht mit einem Ruck auf. Er geht in Richtung Kuhstall. Ich lege den Stift beiseite, ziehe die Jacke aus. Der Kaffee, aufgebrüht, der Kuchen, von seiner Partnerin Gunhild Haderlein selbstgebacken, die Materialkunde über den Lehm, die Geschichten über das 250 Jahre alte Pfarrhaus, haben mich schon vollkommen zufriedengestellt. Soll ich da wirklich noch selber putzen? Kann ich das überhaupt? „Zu einem Seminar, gehört auch Praxis“, sagt Jens Schlüter. Ich folge ihm. Im ehemaligen Kuhstall riecht es nach geschnittenem Holz. Balken sind eingezogen, das Dach ausgebaut, eine Treppe gezimmert – noch einen Sommer, dann ist das Seminargebäude fertig, ökologisch, nachhaltig, energieeffizient – natürlich. Hier stehen noch die Arbeitsgeräte.
Jenseits grauer Theorie
Jens Schlüter hievt zwei Säcke Lehmauf eine Karre , legt ein mannshohes Rührgerät darüber, drückt mir graue Plastiktröge, Maurerkellen, Spachtel und die Wasserspritze in die Hand. Er strahlt. Die Theorie war noch nie so ganz sein Ding. Nicht umsonst hat der Architekt vor zehn Jahren seinen Beruf an den Nagel gehängt. „Zu viel Papierkram, Bürokratie, kaum noch Baustelle“, erinnert er sich an die Zeit, als er in Potsdam Häuser entwarf. Jetzt ist er Lehmbauer. Ein Handwerker mit dem Wissen eines Architekten, einer, der tut, was ihn vollkommen erfüllt. „Lehm lebt, Lehm ist ehrlich, geduldig, gesund, formbar und lehrreich“, sagt er euphorisch. In Berlin, Potsdam und Brandenburg gilt Schlüter als einer der Lehmexperten, der darüber hinaus, die Kunst des Tadelakts beherrscht. Das ist ein aufwendig verarbeiteter steinharter, wasserfester, glänzender Kalkputz, der genau dort hinpasst, wo Lehm nicht geeignet ist, nämlich im Spritzwasserbereich von Bädern und Küchen. Mit seiner Firma Taleh ist Jens Schlüter seit sechs Jahren selbstständig, bietet Lehmbau im Neu- und Altbau, im Innenund Außenbereich, dazu Kalkputze, Tadelakt und eben für Interessierte Seminare.
Viele Argumente
„Manchmal kommen Handwerker, eine Berufsausbildung gibt es noch nicht oder Architekten oder auch Leute, die diesen ältesten Baustoff in ihr modernes Leben integrieren wollen. Eine sinnvolle Entscheidung“, sagt er. Gründe, seine Wände innen mit Lehm zu verputzen, gibt es viele. Ökologische Überlegungen einerseits, gesundheitliche andererseits. Lehmputze wenigstens, Wände noch besser sind ideal für Allergiker. Er sorgt für ein gesundes Raumklima. Der Grund, Lehm bleibt einfach immer Lehm. Während bei konventionellen Baustoffen, wie Beton und Gips, mittels hochenergetischer Herstellungsprozesse und chemischer Veränderungen die molekulare Struktur erhärtet wird, trocknet Lehm schlichtweg. Und das führt dazu, dass er atmet. Das klingt romantisch. Tatsächlich aber tritt Lehm, wie andere natürliche Baustoffe, mit seiner Umgebung in Wechselwirkung. Seine wichtigste Qualität ist die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern, sie also bei zu viel Umgebungsfeuchte aufzunehmen und bei zu wenig wieder abzugeben.
In Lehmbauten herrscht deshalb eine stabile relative Raumfeuchte von 45 bis 55 Prozent, dies erzeugt ein angenehmes und für die menschliche Gesundheit optimales Wohnklima. Einfach gesagt, verhindert das das Austrocknen der Schleimhäute, reduziert die Feinstaubbildung. Aber Lehm leistet noch mehr: Er absorbiert Gerüche, filtert Schadstoffe, schirmt hochfrequente Strahlung ab und konserviert Holz. Lehm ist wie Kalk alkalisch und verhindert zusätzlich die so gefürchtete Schimmelbildung. Schimmel in unseren Gebäuden in Kombination mit flüchtigen organischen Verbindungen, den VOCs, die Farben, Lacken, Regipswänden und Möbeln entweichen, sind nach Auskunft des Umweltmediziners Frank Bartram, Grund für die Zunahme zahlreicher unspezifischer Allergien. „Das Klima in unseren Räumen macht uns krank. Die meisten Menschen halten sich täglich 20 Stunden in geschlossenen Räumen auf und die sind oft stärker belastet als Stadtluft.“ Lehmwände, oder wenigstens ein fachgerecht angebrachter Putz ab zwei Zentimeter Stärke,verringert die Belastungen.
Lehrstelle für Lehm
Wir tragen die Arbeitsmaterialien aus dem Kuhstall in unser Übungsobjekt. Ein windschiefes Fachwerkhaus, 250 Jahre alt, sein Dach gedeckt mit zum Teil handgeformten Biberschwanzziegeln, hängt über die Mauern wie einhalbgeschlossenes Lid. Einst wurde das Haus für den Pfarrer der benachbarten Kirche gebaut, später lebten hier Familien, residierte die Dorfver- waltung. Drinnen ist es nackt, bis auf seine Gemäuer leer geräumt. Es ist dunkel, die Luft ist lau, riecht nach Erde und trockenen Früchten. Der Flur, die ehemalige Küche sind gefliest, die anderen verwinkelt angelegten Räume mit steinhartem Holz gedielt. Über die Jahrhunderte wurde es erweitert, immer wieder repariert. Vor hundert Jahren, etwa, hat man seinen Sockel erneuert, zwanzig Zentimeter über dem Boden sieht man Ziegelsteine. Die bloßen Holzbalken des Fachwerks sind hellgrau, hart wie Stein, in ihren Oberflächen erkennt man Kerben, die die Handwerker ritzten, damit der Putz darüber besser hält. Von der Decke hängen an einigen Stellen gebrochene Lehmfladen herunter, an ihren Risskanten sieht man das lange, eingearbeitete Stroh.
Praxis macht den Profi
„Wie sie eine solch dicke Schicht an der Decke befestigt haben, ist mir ein Rätsel“, sagt Jens Schlüter. Doch als Lehmbauer lernt man nie aus. Lehm ist kein genormter Baustoff, neben den überlieferten und in Handbüchern gesammelten Informationen, den bauphysikalischen Vorgängen, die man studieren kann, ist es das ständige Probieren am Bau, das Erforschen alter Techniken, was einen Lehmbauer zu einem wahren Meister macht.
Lehm und los!
Auf einem Seminar, das man bei Jens Schlüter und seiner Partnerin Gunhild Haderlein eintägig für 80 Euro buchen kann, wird man sicher kein Meister, „aber man bekommt ein Gefühl für den Baustoff, lernt wie er überhaupt funktioniert“. Jens Schlüter hat den Grobputz in einen Plastiktrog gefüllt, setzt Wasser hinzu, reicht mir das mannshohe Rührgerät. Nach den ersten sperrigen Umdrehungen mit der riesigen Maschine kommt schnell ein Gefühl für die sich zum Teig formende Masse. Jetzt ist sie homogen, Jens Schlüter klatscht einen Batzen auf die Kelle, lässt sie herunterrutschen. „Reißt die Menge erst, wenn sie zwei Zentimeter über der Putzkelle ist, ist die Mischung richtig.“ Es geht los: „Aufziehen, festdrücken, glatt ziehen, neu ansetzen“, heißt die Theorie. Nein, zuvor die Wand mit der Spritzpistole nässen.
Mir rutschen die ersten Batzen gleich wieder runter. Aber das macht nichts! Denn: „Lehm ist geduldig.“ Die Reste können immer wieder in die Masse eingearbeitet werden. Beim Lehm gibt es keine Verluste. Man kann also nichts falsch machen. „Und er ist der ehrlichste Baustoff überhaupt“, schwärmt Jens Schlüter weiter. Reißt etwa der Lehm nach dem Trocknen, weiß man, dass er zu fett war, dass die Mischung zu viele Tonanteile hatte. Aber auch Schäden im Gebäude zeigt er sofort. Zum Beispiel zu viel Feuchte im Gemäuer. Lehm ist bei 30 Prozent über seinem Eigengewicht gesättigt, wird dann plastisch und fällt ab. Das passiert auch, wenn Wände durch jahrelang aufsteigende Nässe versalzen sind. Zieht das Wasser ab, bleiben die Kristalle im Gemäuer haften, der Lehmputz löst sich, zeigt einen Konstruktionsfehler.
Eine schiefe Ecke macht mir zu schaffen, Steinchen ragen raus, der Balken steht schief, dazwischen Bruchstellen alten, sehr festen Putzes. Ich drücke den Lehm in die Löcher, modelliere, batze, stopfe, ziehe glatt, ich fasse die Kelle fester, ziehe Material von den Stellen, die nach außen gewölbt sind, auf jene, die zu dünn aussehen. „Es ist das Geräusch“, erklärt Jens Schlüter. Es ratscht, ritzt, mal tiefer mal höher, wenn es kratzt, muss Material drauf, erklärt er und wieder „du kannst nichts falsch machen“. Und plötzlich ist es da, ein Gefühl für das Material. Es ist eine Ahnung, wie eine Erinnerung. Es ist etwas, das tief in meinem Inneren mir sehr vertraut ist. Lehm ist nichts anderes als Erde. Es ist ein Verwitterungsprodukt von Urgestein, eine Mischung aus Ton, Schluff und Sand. Er ist neben Holz und Naturstein der älteste Baustoff, den die Menschheit kennt. Lehm ist geduldig, ja. Und er fordert Geduld, denn Lehm braucht Zeit. Er bindet nicht ab, wie Kalk und Zement. Er trocknet. Das macht ihn zu einem so angenehmen Material, das den Händen nicht schadet, sondern sie pflegt. Pro Tag trocknet ein Millimeter, so die Regel.
Eine Putzschicht kann je nach Bedarf bis zu maximal 2,5 Zentimeter betragen. Der Feinputz, der idealerweise auf einen gut getrockneten Unterputz und eine gut getrocknete Schicht Oberputz, aufgetragen wird, ist die Creme. Das Finish kann farblich pigmentiert werden, gemustert werden oder aber durch eine Lehmfarbe gestrichen werden. Aber es verlangt, sofern man auf eine ebenmäßige Wand Wert legt, echte Putz-Geschicklichkeit. Zunächst wird der trockene Oberputz wieder befeuchtet, „damit sich die Schichten miteinander verbinden können“. Dann wird der angerührte, in seiner Konsistenz kleinkörnigere Feinputz aufgetragen. Man zieht ihn auf, glättet und verdichtet, abschließend wird geschwemmt. Auch wenn es unmöglich erscheint, eine glatte Oberfläche zu erhalten, steigt mit jedem Zentimeter aufgetragenem Lehm meine Begeisterung. Gibt es in meinem Berliner Altbau-Arbeitszimmer nicht diese Wand mit den hässlichen Rissen?
Lehm in allen Lagen
„Tapete muss restlos entfernt werden“, erklärt der Meister, „aber ansonsten kann Lehm auf jede Oberfläche aufgetragen werden“. Auf Ziegelsteinwände problemlos, aber auch auf Gips und Beton. Für diese glatten Flächen braucht man jedoch eine Grundierung, damit der Lehm Halt findet. Die Grundierungen sind in fertigen Mischungen im Naturstoffbauhandel erhältlich. Na dann, der nächste Selbstversuch ist bei mir zu Hause.
Diesen Artikel verfasste Marion Müller-Roth für das greenhome Magazin