Mehr Pflanzen pflanzen!

Grün tut gut. Das gilt für draußen wie drinnen. Mit den richtigen Gewächsen werden Haus und Natur zur Einheit.

Sie produzieren Sauerstoff, verdunsten Wasser, können die Luftfeuchte erhöhen, Lärm und auch Giftstoffe absorbieren, sie binden Staub, werfen Schatten, halten Regenwasser zurück, können kühlen und dämmen. Als Fassadenbegrünung verzieren sie, schützen aber auch unsere Gebäudehüllen, im Innenraum verbessern sie das Wohlbefinden, die Qualität des Raumklimas und damit die Gesundheit der Nutzer: Pflanzen – in, auf und an Gebäuden! Sie schlagen eine Brücke zwischen der modernen Lebenswelt des Menschen und der Natur und verbinden damit zwei Extreme, die bis zum Ende des vergangenen Jahrtausends auseinander drifteten.

Wohnen am Wendepunkt
Die moderne Bau- und Wohnkultur steht an einem Wendepunkt. Während Gebäude bis vor Kurzem die Funktion hatten, sich von der Natur abzugrenzen, um den Menschen vor Kälte, Hitze, Niederschlägen und anderen Gefahren zu schützen, werden die Gebäude der Zukunft die Natur integrieren. Das Begrünen und damit die Pflanzen spielen dabei die entscheidende Rolle, gerade wenn es um Energieeffizienz in Verbindung mit Wohngesundheit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit geht. Pflanzen und Begrünung werden damit zu Grundlagen des ökologischen Bauens. Für Christine Volm ist das nicht wirklich etwas Neues. Die promovierte Gartenbauingenieurin wuchs in der Gärtnerei ihrer Eltern Winfried und Uta Werner auf. Die Werners gehörten zu den Pionieren der Innenraumbe- grünung. Als der Tübinger Solararchitekt Dieter Schempp eines der ersten Glashäuser Deutschlands in Herten, Nordrhein-Westfalen, entwarf und baute, begrünten es die Werners mit subtropischen Pflanzen. Bis heute gilt das funktionierende System Glashaus in Herten als ein Symbol für die Symbiose zwischen Energieeffizienz und gesundem Innenraumklima mittels üppiger Begrünung. Die Luft wird durch die Glasfassade erwärmt und durch die reichlich vorhandene subtropische Vegetation gereinigt.

Gute Pflanzenluft
Der moderne Mensch verbringt bis zu 20 Stunden täglich in geschlossenen Räumen und das ist milde ausgedrückt nicht unproblematisch. Zuerst einmal ist da die Luftfeuchte. In geschlossenen Räumen sinkt sie in der Heizperiode oft unter 30 Prozent. Der Mensch aber braucht, um sich wohl zu fühlen, eine relative Feuchte zwischen 45 bis 70 Prozent. Ist die Luft zu trocken, reagieren die Schleimhäute mit Reizungen. Die Belastung von trockener Luft wird durch die Anreicherung der Raumluft mit Schadstoffen potenziert. Neben schlichtweg veratmeter, also CO2-reicher Luft, sind es vor allem flüchtige organische Verbindungen, VOCs, die unsere Gesundheit belasten. Diese chemischen Verbindungen entweichen Möbeln, Teppichen, Wandfarben und Lacken. Schon seit den 1980er-Jahren ist das Sick-Building-Syndrom bekannt. Die sogenannte Gebäude-Überdrüssigkeit beschreibt einen Komplex von Krankheitssymptomen, die auf den langen Aufenthalt in geschlossenen Räumen zurückgeführt wird. Die Symptome sind Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, bis hin zu chronischen Beschwerden wie Rheuma und Asthma. Pflanzen können dem entgegenwirken.

Abgesehen von der vielfach nachgewiesenen positiven Wirkung des lebendigen Grüns auf die menschliche Psyche, sind es Stoffwechselprozesse, die das Zurückholen der Natur in unsere Räume als die Lösung vieler Probleme nahe legen. Pflanzen produzieren bekanntermaßen Sauerstoff, aber sie leisten mehr: Sie transpirieren, atmen das aufgenommene Wasser in Form von Wasserdampf aus, erhöhen damit auf ganz natürliche Weise die Luftfeuchtigkeit und kühlen. Mit der Fähigkeit des Verdunstens verbinden sich auch andere Vorteile, etwa Staub zu binden und damit auch Schadstoffe, die daran haften. Einige Pflanzen können im Wurzelbereich solche Schadstoffe mittels Mikroorganismen abbauen. Orchideen, Gerbera, Efeu und Areca, die Birkenfeige, lateinisch Ficus benjamina, und die Grünlilie binden Formaldehyd, Benzol, Trichlorethylen und wandeln Kohlendioxid durch die Photosynthese in Sauerstoff um. Um das Raumklima messbar zu verbessern, braucht es jedoch Masse. Und hier beginnt die Zukunft.

Zukunftweisende Visionen
In ihrem Buch „Innenraumbegrünung in Theorie und Praxis“ entwickelt Christine Volm die Vision eines Glashauses, dessen raumtrennende Wände aus Pflanzen bestehen. „Jede neue Entwicklung beginnt mit einer Vision“, erklärt sie und möchte einen Weg weisen zu einem Ziel, an dem sich Architektur mit Natur verbindet. Doch bis dahin sind noch einige Schritte zu laufen. Die Wissenschaft, die sich mit der Wirkung der Pflanzen auf das Innenraumklima beschäftigt, ist eine junge Wissenschaft. Physiologische Vorgänge beim Abbau etwa von Schadstoffen, sind noch nicht vollständig geklärt. Planer, wie die Gartenbauwissenschaftlerin Christine Volm müssen neben der Anwendung von physiologischen und ingenieurwissenschaftlichen Kenntnissen vor allem beobachten. Pflanzen sind nämlich kommunikative Organismen. Sie vermitteln, ob ihren Ansprüchen an Licht, Luft, Wasser, Temperaturen und Nährstoffen Genüge getan wird. „Grundsätzlich gibt es keine guten und schlechten Pflanzen, nur die richtige Pflanze für den bestimmten Ort“, sagt Christine Volm.

Einfach pflegeleicht
Die bei uns heimischen Pflanzen eignen sich nicht zur Innenraumbegrünung. Vielmehr sind es die tropischen und subtropischen Vegetationen, die wir in unsere Wohnräume, Büros, Foyers und Wintergärten holen. Die relativ gleichbleibenden Temperaturen in Wohnzimmern behagen Tropenpflanzen. Tropenwälder sind dicht bewachsen, sodass die unteren Vegetationsschichten oft im Schatten liegen, deshalb brauchen diese Pflanzen im Jahres- mittel gleichmäßig warme Temperaturen und kein direktes Sonnenlicht. Ficusarten, Grünlilien, die Efeutute, die Kentiapalme gedeihen prächtig in solchen Räumen. Sie sind robust, also pflegeleicht, und arrangieren sich mit einer gleichmäßigen Temperatur von etwa 20 Grad. Trotzdem: Pflanzen sind Individuen, während das Elefantenohr, lateinisch Alocasia macrrorhiza, schattigere Standorte verträgt und nur bei hoher Luftfeuchtigkeit gedeiht, verlangt die Goldfruchtpalme, Chrysalidocarpus lutescens, einen echten Sonnenplatz.

Die richtige Raumumgebung
Der Echte Feigenbaum, Ficus carica, dagegen wird in einem solchen Raumklima eingehen, ebenso die Olive, der Erdbeerbaum, Zistrosen und Zwergpalmen. Sie gehören zu den subtropischen und mediterranen Pflanzen, benötigen ganzjährig viel Licht, aber im Winter einen Temperaturabfall. Ihr geeigneter Standort ist deshalb ein nur bei sehr kalten Außentemperaturen beheizter Wintergarten, der in Winternächten auch einmal Temperaturen um den Gefrierpunkt erlangen darf. Für Badezimmer und schattige Ecken wie Flure eignen sich Farne. In der Natur wachsen sie auf allen Kontinenten, bevorzugt an schattigen, feuchten Orten. In unserem gleich bleibenden, relativ warmen Wohnklima fühlen sich vor allem die tropischen Varianten wohl, doch nur bei ausreichend hoher Luftfeuchtigkeit.

Noch mehr Potenzial
Das Potenzial, das die Begrünung unserer Wohn- und Arbeitsräume freilegt, ist längst nicht ausgeschöpft. Doch jede Veränderung braucht ihren Anfang. „Genauso wie das Verlangen nach mehr Licht die Glasflächen immer größer und zahlreicher werden ließ“, sagt Christine Volm, „so wird auch der Wunsch nach grünem Leben in naher Zukunft unter Architekten und Bauherren mehr Beachtung finden.“ Im Idealfall wird dann die Begrünung eines Gebäudes bereits in die Planungsphase einbezogen und sie auch befruchten. Damit würde ein Grundwiderspruch gelöst. Anders gesagt, eine Grenze überwunden, nämlich die zwischen Bauen und Natur. Bisher gab es nur das Eine oder das Andere: Dort, wo Straßen gebaut, Fundamente gegossen, Fabriken oder Gewerbeflächen errichtet werden, wird Erde, die Basis für Vegetation, zerstört. Gegenwärtig ist das weltweit auch unter klimatischen Gesichtspunkten viel zu viel. Auf unserem Planeten verschwinden am Tag 350 Quadratkilometer Wald, 300 Quadratkilometer werden zu Wüsten und 150 Quadratkilometer werden urbanisiert. In der Summe ergibt das ein Gebiet von der Größe Berlins, das täglich der Natur entzogen wird. Und das führt zu einer empfindlichen Störung des Wasserhaushaltes und damit des Klimafaktors Verdunstung. Das Regenwasser, das auf solche versiegelten Flächen fällt, läuft in Kanäle, bestenfalls in Flüsse, oder es erodiert Erde. Es verdunstet nicht mehr und schickt damit keine Feuchtigkeit in die Atmosphäre, was dazu führt, dass sich dort, wo keine Vegetation ist, Wolken nicht mehr bilden. Es wird trockener und heißer.

Doppelt gutes Klima
Verdunstungsflächen sind deshalb so wichtig. Und die können wir schaffen, indem wir unsere Siedlungsräume begrünen. An Gebäuden gibt es dazu zwei Möglichkeiten: die Dachbegrünung und die Fassadenbegrünung. Beide Systeme bringen neben dem Beitrag zum Klimaschutz auch direkte Vorteile für den Baukörper selbst, seine Nutzer und für die Energiebilanz. Pflanzen vor der Gebäudehülle verhindern die direkte Sonneneinstrahlung im Sommer und schützen das Haus auch im Winter. Während sich nicht begrünte Gebäudeoberflächen im Sommer durchaus auf über 80 Grad erwärmen können, erlangen sie unter einer Begrünung nie mehr als 35 Grad. Eine dicht begrünte Fassade wird vor Schlagregen geschützt, vor direkter UV-Strahlung, die Blätter wirken als Windfang und reduzieren den Temperaturaustausch. Außerdem dämmen Pflanzen Schall. Und das muss nicht mal teuer sein.

Autarke Dachvegetation
Eike Roswag von den ZRS Architekten in Berlin favorisiert im Sinne der Nachhaltigkeit die einfachste Variante einer Dachbegrünung. Das ist ein Extensivdach, ein Flachdach, das bei einem geringen Aufwand von etwa 35 Euro pro Quadratmeter alle Vorteile der Dachbegrünung erreicht. Einzige Bedingung ist eine wurzelfeste Bahn in der Dachhaut. Auf diese Haut wird eine Schicht von Blähtonsubstrat aufgetragen und darin Sedumsprossen eingegeben. Die Pflanzen sind autark, also selbst versorgend, gegossen werden darf nicht, auch dann nicht, wenn in Hitzeperioden die Vegetation verbrannt aussieht. „Die Sprossen sind so resistent, dass sie beim ersten Regen wieder grünen“, sagt Eike Roswag. Neben dieser einfachsten aller Varianten, gibt es zahlreiche andere. Je nach Zielsetzung reichen sie von optimierten Anlagen mit Regenwassernutzung über begehbare und ästhetisch anspruchsvolle Gartenanlagen bis zu einer Kombination aus beiden.

Natürliche Klimaanlage
Der Ingenieur Marco Schmidt sucht nach komplexen Lösungen. Er forscht und lehrt am Institut für Architektur der TU Berlin und begleitet wissenschaftlich ein außergewöhnliches Berliner Projekt des ökologischen Städtebaus. Am Institut für Physik der Humboldt-Universität versorgt eine dezentrale Regenwasseranlage die begrünten Fassaden und kühlt zusätzlich das Gebäude. Gemessen wurden die Energiebilanzen sowie die Auswirkungen auf das Mikroklima im Gebäude und in seiner unmittelbaren Umgebung. Hintergrund dieser Forschung sind die Erkenntnisse, dass undurchlässige, also versiegelte Flächen wie Dächer und Straßen dafür verantwortlich sind, dass Temperaturen steigen, das Raumklima unbehaglich wird und durch eine Klimaanlage gekühlt werden muss. Wenn Pflanzen aber Wasser verdunsten, erzeugen sie Verdunstungskälte. Sind neben Dächern auch die Fassaden begrünt, potenziert sich dieser Effekt. Können also Pflanzen die natürlichen Klimaanlagen der Zukunft sein? Das Modellprojekt zeigte, dass die Beschattung der Gebäudehülle durch die Fassadenbegrünung und die erreichte Verdunstung zu einer messbaren Abkühlung führen und generell das Mikroklima in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudes positiv beeinflussen. Viele Ergebnisse sind im Internet unter www.gebaeudekuehlung.de und bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin veröffentlicht.

Schlinger und Efeu
Der grüne Pelz einer begrünten Fassade ist also nicht nur eine optische Oase in der Stadt, Brutstätte für Vögel. Er schützt auch die Fassade und verbessert das Mikroklima, sofern man einige Grundsätze beachtet. Nach ihrer Art des Wachsens unterscheiden wir zwischen Schlingern, Rankern, Wurzelkletterern und Spreizklimmern. Schlinger, zu denen das immergrüne Geißblatt, Hopfen und die Feuerbohne gehören, benötigen Kletterhilfen. Sie winden sich um Stäbe, Seile und Drähte, die einen Durchmesser von drei bis fünf Zentimeter haben sollten. Anders als die Wurzelkletterer, wie Efeu zum Beispiel, kommen die Schlinger nicht direkt mit der Fassade in Berührung. Dadurch sind sie für Fassaden mit Wärmedämmverbundsystemen gut geeignet. Die Haftwurzeln des Efeus und der Kletterhortensie können dagegen in unsanierte Fassaden und Plattenbauten eindringen und Bauschäden verursachen. Putz und die Mauerkonstruktionen für solche Selbstklimmer sollten vor der Begrünung in einem einwandfreien Zustand sein.

Mauern mit Rissen oder Fugen wie Holzfassaden sind für diese beiden Arten nicht geeignet. Ranker dagegen klettern mit speziellen Rankorganen, entweder mit langen Blattstielen wie die Waldrebe, lateinisch Clematis, oder mit Rankorganen, die durch Umbildung von Sprossen wie beim Echten Wein, Vitis vinifera, entstanden sind. Wilder Wein eignet sich wegen seiner Saugwurzeln für glatte Oberflächen und benötigt keine Kletterhilfe. Die Kletterrose, der Winterjasmin und die Brombeere sind Spreizklimmer. Da sie nicht von selbst klettern, müssen ihre neuen Triebe gelegentlich hochgebunden oder durch die Streben des Stützwerks geflochten werden. Das Stützgerüst kann vorgestellt werden, sodass es mit der Fassade nicht in Berührung kommt. Für holzverkleidete Häuser ist das eine ideale Begrünung.

Diesen Artikel verfasste Marion Müller-Roth für das greenhome Magazin

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