Besser Bunt
“Wer seine vier Wände heute noch weiß streicht, der ist bestenfalls unentschlossen“, sagt Elke Wulf von Natur am Bau. Denn Weiß sei keine natürliche Farbe und schon gar nicht ein Zustand, in dem der Mensch sich wohlfühle, fügt sie hinzu. Der Mensch ist ein Naturwesen und als solches liebt er die Farben, ihre Wechselhaftigkeit, eben wie in der Natur, je nach Jahreszeit, mal satt, mal zart, mal matt, mal grell und mal verwaschen.
Doch Weiß? Selten. Weiße Wohnräume gehören in die Mottenkiste. Farbe ist im Kommen, Struktur, ja selbst Tapeten, bunt, gestreift, bemalt, alles – nur individuell muss es sein.Das aber ist nichts wirklich Neues. Schon in den vergangenen Jahren ging man weg vom Reinen, Klaren hin zum Mutigen, Individuellen. Neu in diesem Jahr ist der Trend, eine überwiegend blass-farbige Basis mit einem rauschenden Farbtupfer zu akzentuieren. Also die bis dahin warmen Farbtöne nun regelrecht kühl aufzumischen. Arktisblau, auch Nachtblau, dann Rot in kräftiger, frischer Variante, ein sattes Blattgrün und frisches Zitronengelb – das sind die Farben des Jahres 2012. Aber Achtung! Nur als Akzent. Der Trend besteht also darin, diese mutigen Farben als Tupfer, I-Punkte, Eyecatcher zu setzen in einer Umgebung, die eigentlich nicht anders ist, als das, was wir aus dem vergangenen Jahr bereits kennen. Pastellige, also warme Farben, ein helles Flieder zum Beispiel, auch Rosa, dann Baby-Himmelblau-Varianten, viel zartes Grün, Beige und jede Menge Erde.
Neben diesen eher zarten Farben standen und stehen auch in diesem Jahr einprägsame Töne, wie dunkles Mokka, Schokoladenbraun und ein schlammiges, edles, weil changierendes Schwarzgrau. Der Trend dieses Jahres heißt also nichts anderes, als altbewährtes Warmes mit kühlen Akzenten zu unterstreichen. Eine gute Nachricht? Ja, sofern man im vergangenen Jahr schon im Trend lag. Dann nämlich reicht es, eine Wand zu streichen oder aber ein auffälliges Accessoire anzuschaffen, wie eine farbenfrohe, gestreifte Jalousie, die sich aber am besten über eine ganze Wand ziehen soll.
Modezyklen für Zimmer
Doch grundsätzlich gilt, ganz so eng muss man das mit der Mode in Wohnräumen nicht sehen, darin ist sich die Branche einig. Trotz zweimal jährlich stattfindender Trend-Updates weiß man, dass „bei der Gestaltung von Wohnräumen die Zyklen der Mode träger reagieren“, sagt Elke Wulf. Das heißt, es dauert zunächst seine Zeit, bis ein neuer Trend angenommen wird. Dafür aber hält er auch länger. „Eine Modefarbe“, sagt Kerstin Müller von Alpina Farben, „stellen wir nicht nur für eine Saison in die Regale.“ Letztendlich liegt es im Fingerspitzengefühl eines jeden Herstellers und Händlers, auf die jeweiligen Modenachrichten zu reagieren. Denn die Übersetzung allgemein formulierter Trends in die Produktpalette bleibt ein individueller Prozess, der zu angenehmer Vielfältigkeit führt.
Rot und Farbrezepte
Das Ästhetik-Center von Akzo-Nobel, dem weltgrößten Anbieter von Farben und Lacken, prognostizierte Rot als die Trendfarbe für 2012. Die Farbe der Leidenschaft, des Feuers würde sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch den Alltag ziehen, erklärte schon im Oktober 2011 Stefan Seidl, den Medien. Der Marketingleiter der österreichischen Niederlassung sah die Farbe sowohl in der Kleidung als auch als Rennstreifen an Autos und natürlich in rot gestrichenen Wänden.
Alpina Farben haben keinen neuen Rotton für diese Saison entwickelt. Dabei bringen sie im Frühjahr insgesamt neun neue Farben in die Baumärkte. Seit der Farbhersteller Alpina Farben den Profi-Sterne-Koch und Hobbyheimwerker Tim Mälzer im Designerstudio an Bord hat, offeriert Alpina Farben nicht nur simple Farbtöpfe, sondern gleich ganze Rezepte mit originell benannten Farbtönen, mit denen sich ganze Gestaltungsmenüs umsetzen lassen.
Neu im Regal dürfen wir ab April „Süße Pflaume“, einen Beerenton erwarten, sagt Kerstin Müller, Produktmanagerin der Alpina Farben, dazu auch „Lila Laune“ (ein Fliederton), „Lecker Limette“ (ein helles Grün) „Zimt & Zucker“ (heller Zimt), „Prise Pfeffer“ (ein vergrautes Beige), das „Felsenmeer“ (eine warme Graunuance) und ein sattes Zitronengelb mit dem Namen „Sommerkuss“. Zu diesen neuen Farben gesellen sich dann noch zwei gebrochene Weiß-Nuancen, die „Champagnerbad“ und „Erste Sahne“ genannt werden. „Sommerkuss“ aber sollte nie mehr als ein Akzent sein, „also nur eine ausgewählte Wand schmücken“, sagt Kerstin Müller. Besonders gut lasse sich das „neue“ Zitronengelb mit „Erste Sahne“ als Basis kombinieren. Mit diesem Zweifarbenmenü schafft man sich ein garantiert sommerliches und positives Wohnambiente. Ein weiteres sehr trendiges 2012 Mälzer- Farbmenü kombiniert „Süße Pflaume“ mit „Erster Sahne“ und einer „Prise Pfeffer“. Die so gestalteten Räume wirken elegant und stylish. Romantisch und sehr feminin dagegen soll „Lila Laune“ auf der Basis von „Champagnerbad“ sein.
Jetzt wird die Farbe Grün so intensiv wie ein Blatt
Aber auch verschiedene Grüntöne verlieren heuer nicht an Reiz, auch wenn sich die bekannte Grünnuance in diesem Jahr verändert hat. Während bislang das gelb nuancierte Maigrün im Trend lag, dränge jetzt ein sattes, intensives Blattgrün nach vorne, sagt Kerstin Müller. So wie Blau. Alpina Mitarbeiterin Andrea Elsner erklärt, dass Blau eigentlich das neue Grün der Saison sei und sieht darin sich das Bedürfnis der Menschen nach Klimaschutz widerspiegeln. Blau stünde eben für saubere Luft. Und so werden in diesem Jahr auch Blau-Türkis- Töne eine neue Bedeutung erlangen. Diese reichen von hellen transparenten Wassertönen bis zum kühlen Arktisblau. Die perfekte Ergänzung zu diesem Blau sehen Designer im schon bekannten Mokkabraun und in Beigetönen, welche die Kühle des Blaus abmildern.
Schlichtes Blau wird zu bayerischem Königsblau
Zurück in Berlin steht Baustoffhändlerin Elke Wulf vor einer blauen Wand. Sie ist neu, fungiert nicht als Raumteiler, sondern als Dekoration, besser gesagt, als Anschauungsmaterial. Hier können die Kunden sehen, wie ihre neue Farbe wirkt. Elke Wulfs schlichte Antwort auf die Trendprognosen heißt: „Ich bin total im Blaufieber.“ Ihr selbst gemischtes Blau ist ein sattes dunkles Blau, eines, wie man es sich am Himmel in einer Nacht auf dem Meer vorstellt, mit Schattierungen, die flirren. „Blau ist eine Farbe, die einen richtigen Dornröschenschlaf gehalten hat“, erklärt Elke Wulf. Viele Jahre habe sie nicht mehr damit gearbeitet.
Im Innenraum sei Blau ein regelrechtes Tabu gewesen. Was auch daran liegen könne, dass die Farbpigmente, aus denen man diese kostbare Farbe herstellt, aus dem Edelstein Lapislazuli gewonnen werden, der sehr teuer ist. Den Namen „Königsblau“ verdankt das dunkle Blau dem bayerischen Regenten Ludwig II. Es war seine erklärte Lieblingsfarbe, die er auch im Schlafzimmer verwendete. Vielleicht ist diese Tradition dafür verantwortlich, dass man es heute gerne mit Altem kombiniert. Elke Wulf zeigt ein Bild in einem Modekatalog, darin ist ein Restaurant im Jugendstil zu sehen, drinnen ein blauer Glastisch. „Das ist das wirklich Neue“, sagt Elke Wulf, „plötzlich in einem solchen Raum einen so blauen Farbkontrast zu setzen, das ist schon irre.“
Medien und Modefarben
An diese Kombinationen, die wie alle neuenTrends zunächst einmal ungewohnt wirken, muss sich das Auge erst einmal gewöhnen, so ist das eben mit jeder Mode. Doch dabei helfen dann auch die Medien. Wer einmal darauf achtet, wird feststellen, dass die neuen Modefarben plötzlich in allen möglichen Sendungen auftauchen. So glänzt der neue Tom Tykwer Film mit dem Titel „Drei“ in vielen Blau-Chargen. Keine Wohnung, in der es nicht mindestens eine dunkelblaue Wand gibt und auch die wunderbare Sophie Rois ist fast durchweg in Blau gekleidet. Fragt sich nun, ob Tom Tykwer der eigentliche Trendsetter ist oder aber Trends doch ein allgemeingesellschaftliches Farbgefühl widerspiegeln. Eine Frage, die man hier nicht beantworten wird. Festhalten kann man nur, dass es eben Farben gibt, die schnell angenommen werden und andere, die schon mal liegen bleiben, verrät eine Insiderin aus einem großen Farbdesign-Studio. Elke Wulf folgt deshalb einfach ihrem Bauchgefühl.
Sie beobachtet sich selbst und dann ihre Kunden. „Die Männer“, sagt sie, „mögen dieses dunkle Blau sofort. Während Frauen erst einmal zögerlich reagieren.“ Grundsätzlich rät die gelernte Baubiologin Menschen, die ihre Wohnung eher als Refugium begreifen, zu stärkerer farbiger Gestaltung.
„Dunkle, warme Farben erhöhen die Konzentration“, wohingegen hellere Farben Luftigkeit ausstrahlen, eine gewisse Leichte und Offenheit. Neben der Farbgestaltung unterliegt auch die Beschaffenheit der Wandoberfläche einer Mode.
Verzichtete man in der Vergangenheit auf Tapete, so wollte man aber eine glatte Oberfläche haben, die meistens aus Gips oder Beton war. Nun bricht die Gegenphase hervor.
Der Putz soll Masse haben, eine Oberfläche sein, die Strukturen zeigt und damit Tiefe. Wir wissen, dass die Hinwendung zu natürlichen Baumaterialien den Lehmputz wieder in Mode gebracht hat. Seine Oberfläche bleibt immer sandig, eine gewisse poröse Struktur, auf der sich grundsätzlich matte Farben besser eignen.
Wichtig für die Wirkung von Tiefe ist, dass der Putz mindestens drei Millimeter hat, aber auch erst dann ist der positive Effekt für das Raumklima zu erwarten. Hier verbindet sich also Zweckmäßigkeit mit einem ästhetischen Bedürfnis, oder ist es anderrum?
Edel und en vogue
Elegante Putze, die trotzdem raumklimatisch positiv wie der Lehm wirken, sind Kalkputze. Ihre Oberfläche kann man auch polieren, damit erreicht man Glanz. Sie verliert aber nicht ihre Tiefe und lässt sich durchaus mit kräftigen, natürlichen Farben streichen. „Das ist dann wirklich sehr edel“, schwärmt Elke Wulf. Ganz aus der Mode sind Wandlasuren und auch die Schwammtechnik, die den Eindruck einer unregelmäßigen, wolkigen Oberfläche vermittelt. Kurz gefasst kann man sagen: In diesem Jahr zählt wieder mehr Sein als Schein.
Diesen Artikel verfasste Marion Müller-Roth für das greenhome Magazin
Fotos: Alpina