Interview mit Dr. Hermann Scheer
greenhome traf Dr. Hermann Scheer, Bundestags- abgeordneter, Träger des Alternativen Nobelpreises und einer der Väter des Erneuerbaren Energien Gesetzes sowie des Marktanreizprogramms erneuerbarer Energien.
Herr Scheer, wo stehen wir heute in Deutschland mit der Energierevolution?
Nur am Anfang, aber sie vollzieht sich natürlich auf mehreren Ebenen. Sie vollzieht sich am schnellsten im Denken der Leute, was man an Meinungsumfragen ablesen kann. Die letzte, die ich in Erinnerung habe, sagt, dass 90 Prozent den zügigen, weiteren Ausbau erneuerbarer Energien wollen und weniger als zehn Prozent sind für neue Kohlekraftwerke. Neue Atomkraft wollen auch weniger als zehn Prozent. Bei der Laufzeitverlängerung gibt es etwas höhere Zustimmung, aber bei Weitem keine Zustimmung. Dieses Zahlenverhältnis wächst sogar. Das Interessanteste für mich ist, 75 Prozent wollen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energie in ihrer näheren Umgebung stattfindet und nicht in der Sahara.
Wir haben jetzt seit zehn Jahren das „Erneuerbare Energien Gesetz“ (EEG). Was hat sich in diesen zehn Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien, Energieeffizienz getan?
Der wichtigste Erfolg ist, es hat demonstriert und vielen die Augen geöffnet und die Phantasie dafür geschaffen, dass ein Wechsel zu erneuerbaren Energien tatsächlich möglich ist, und dass er relativ schnell realisierbar ist. Und diese Wirkung des EEG ist nicht hoch genug einzuschätzen. Es gibt eine hohe Zustimmung. Eine gesamte Gesellschaft hat angefangen umzudenken. Das ist der wichtigste Erfolg, den man gar nicht genau in Zahlen messen kann. Der sich aber künftig in Zahlen ausdrücken wird. Dieses Umdenken heißt auch, es wird anders gehandelt werden von immer mehr Leuten. Diese Leute müssen weiter ermutigt werden, denn umdenken ist das Eine. Tatsächlich in die Praxis überzugehen ist noch ein bisschen schwerer. Dazu brauchen wir auf der Ebene der technischen Umsetzer in der Wirtschaft bis zum Handwerk viel stärkere Mobilisierung.
Aktuell ist das Thema der Reduzierung der Einspeisevergütung in aller Munde. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen ist ein Befürworter dieser Reduzierung. Die Begründung ist, dass alle Energieverbraucher die Erneuerbaren Energien subventionieren.
Das ist eine etwas enge Betrachtungsweise, die mich überrascht, wenn sie vom Verbraucherverband kommt. Wenn etwas subventioniert wird von der Gesellschaft, dann ist es das herkömmliche Energiesystem. Weil das herkömmliche Energiesystem seine Folgen, die ja auch irgendwann mal bezahlt werden müssen, die Umweltschadensfolgen und die Gesundheitsschadensfolgen, nicht bezahlen muss. Die muss dann die öffentliche Hand bezahlen. Die kommen indirekt über höhere Versicherungsprämien, die Gesundheitsbudgets, schlagen sich nieder in den Krankenversicherungsbeiträgen. Die schlagen sich nieder in den wirklichen Umweltfolgeschäden, die zunehmen werden.
Das sind Dinge, die der Verbraucher auch bezahlt. Aber nicht unbedingt über den Energiepreis sondern zum Beispiel als Steuerlast. Es wird hier sehr künstlich unterschieden zwischen Energieverbrauchern und Bürgern. Es gibt aber keinen einzigen Bürger, der nicht Energieverbraucher ist. Dass die Folgen in zwei unterschiedlichen Rechnungen auftauchen, ist eine Betrachtungsweise, die man nicht akzeptieren darf. Das ist die Betrachtungsweise der Energiewirtschaft, die die sozialen und ökologischen Kosten der Gesellschaft auflädt und damit den Bürgern. Das ist das eigentliche Problem. Wenn etwas subventioniert wird, dann ist es die herkömmliche Energieversorgung. Die tatsächlichen Folgekosten sind höher als die Kosten für erneuerbare Energien. Außerdem sind die Kosten, die über das EEG an Investitionen angekurbelt wird, Zukunftsinvestitionen.
Das was dafür ausgegeben wird, ist die Voraussetzung dafür, dass die Massenproduktion der Anlagen sich ausweitet, sie dadurch billiger werden. Das EEG ist nicht ein Gesetz, das vorhat, niedrige Energiepreise aktuell zu haben, sondern ist ein Gesetz, das mehrere Ziele auf einmal enthält. Ein weiteres Ziel ist, die emissionsfreie Energieversorgung voranzutreiben, und es hat das Ziel, dass damit auch der Aufbau einer entsprechenden Industrie beginnen kann. Es ist ein Umwelt- und Klimaschutzgesetz, und es ist ein Wirtschaftsförderungsgesetz. Das sollte man wirklich nicht vergessen oder bei Seite schieben.
Das Problem der jetzt anstehenden Vergütungsabsenkung ist nicht, dass es Degressionen gibt in dem Förderungssystem. Das war von Anfang an der Fall. Die müssen sich danach richten wie die tatsächliche. Kostenentwicklung ist, das ist auch klar. Das Problem ist, dass jetzt durch diese zusätzliche Maßnahme, die vorgesehen ist, die Berechenbarkeit weg ist. Man konnte sich bisher auf die Bedingungen einstellen mit seinen Investitionsentscheidungen, als Produzent und Hersteller, die Banken, die die Finanzierungen dafür machen. Dies wird auf einmal massiv gestört , durch eine Zusatzsenkung, die gleichzeitig ist größte ist, die es jemals gegeben hat, und die dann auch noch abrupt erfolgt.
Das verunsichert ja den Hausbesitzer, der Planungssicherheit braucht, um Investitionsentscheidungen treffen zu können.
Es verunsichert die Hausbesitzer, die Banken, die Handwerker, die installieren sollen und die Produzenten der Module. Das heißt, die Investitionssicherheit, die das EEG geschaffen hat, die die stetige Expansion ermöglicht hat, diese wird beeinträchtigt. Wenn man Vergütungssenkungen macht, müssen die lange voraussehbar sein, und statt ganz großer Schritte muss man gleitende Übergänge machen. Man darf nicht so große Treppenstufen haben sondern lieber mehr Treppenstufen als eine große.
Es gibt in Deutschland jede Menge Förderprogramme. Das Angebot ist allerdings nur schwer zu durchschauen. Es fehlt an Transparenz. Es ist schwer nachzuvollziehen, welche Maßnahmen wie gefördert werden. Ist das durch das EEG verursacht?
Es ist durch das EEG besser geworden als es vorher war. Vor dem EEG gab es Förderprogramme, die teilweise vom Bund kamen, Direktzuschüsse aus Minietats des Bundes, Landesprogramme, städtische Fördertöpfe. Manchmal haben diese Programme sich wechselseitig ausgeschlossen, und manchmal konnten sie sich ergänzen. Dann gab es eine Flurbereinigung im Stromsektor, eine Flurbereinigung mit dem EEG. Der Dschungel muss selbstverständlich gelüftet werden. Das kann nur gehen, wenn man von jede stop-and-go-Form, von Teilprogrammen, Abstand nimmt.
Ordnungspolitische Regeln müssen geschaffen werden. Diese Regeln haben wir beim EEG, aber wir haben sie noch nicht bei der Wärme. Meine Mahnung die ganze Zeit ist es, dass der beste Ansatz ein zinsbegünstigtes Programm wäre. Dieses Programm mit einem niedrigen Zins für Investitionen zum Beispiel im solarthermischen Bereich, das nicht limitiert ist. Es gibt nämlich überhaupt keinen finanzpolitischen Grund das zu limitieren. Denn alle energetischen Programme sind limitiert, auch das Marktanreizprogramm. Wenn die Haushaltsdecke erreicht ist, dann ist mal wieder Stop. Das ist keine gute Entwicklung. Wir könnten schon viel weiter sein.
Es gibt zwei verschiedene Grundmodelle. Das Eine ist man macht, wie in der Einkommenssteuer Durchführungsverordnung, das Abschreiben von Investitionen möglich. Das ist nicht das beste Mittel, weil es eben unterschiedliche soziale Folgewirkungen hat. Diejenigen, die mehr abschreiben können, haben größere Vorteile. Also ist der beste Weg, um den ganzen Antragsweg zu vermieden, ein zinsbegünstigter Kredit von vielleicht zwei Prozent. Man müsste als Bauherr nicht auf einen Bescheid warten. Das ist der unbürokratischste Weg. Der Kredit wird allen gegeben ohne dass es eine Haushaltsobergrenze gibt. Es gibt keinen Grund für eine Haushaltsobergrenze. Wenn ein solch zinsbegünstigter Kredit kommt, dann finanziert dieser Kredit vielleicht 25 Prozent der Investitionen.
Auf einen Euro öffentlicher Mittel kommen drei Euro privater Mittel. Davon holt der Staat sich gleich mal 19 Prozent zurück. Somit ist der tatsächliche Förderbetrag gerade mal rund sechs Prozent der Investition. Aber 50 bis 70 Prozent aller Kosten dafür sind allesamt Arbeitskosten. Was da an Beschäftigung passiert und an Unternehmensaufträgen, schlägt sich ja in Steuern nieder.Es ist klar, dass dadurch mehr Steuern in die öffentliche Hand zurückfließt als als Anreizfinanzierung ausgegeben wird. Deshalb besteht keinerlei Grund für eine Haushaltsbegrenzung. Aber dies ist für einige offensichtlich ganz schwer zu begreifen. Die Argumente für eine Haushaltsobergrenze sind nicht nachvollziehbar. Entweder ist es absichtliches Verzögern oder es ist schlichte Beschränktheit.
Als Bauherr habe ich mit meiner kommunalen Bausatzung zu tun. Darüber hinaus gibt es die Landesbauordnung und die Bundesbauordnung. Oftmals ist dabei der Einsatz erneuerbarer Energien eingeschränkt. An welchen Stellschrauben kann man drehen, um den erneuerbaren Energien Vorrang einzuräumen?
Das Baurecht ist Landesrecht. In der Bundesbauordnung ist schon alles geregelt. Hier sind Kommunen ermächtigt bei der Erstellung von Flächennutzungsplänen diese so zu gestalten, dass immer auch die künftige Nutzung erneuerbarer Energien ein wesentliches Kriterium ist.
Das beeinflusst automatisch die gesamten Gestaltungspläne. Sie sind ermächtigt, das zu machen. Das sind alles Initiativen, an denen ich mitgewirkt habe oder die ich angestoßen habe. Wegen unserer föderalistischen Struktur kann das Bundesgesetz die Verpflichtung nicht aussprechen. Aber die Bundesländer können das tun.In der gesamten Bauleitplanung kann der Einsatz erneuerbarer Energien durch dekliniert werden. Bisher fehlt den meisten Landesregierung dafür der Mut. Dabei bin ich mir ganz sicher, dass die Bürger mitziehen würden. Auf die paar Meckerer, die es gibt, kann man nicht ewig warten. Für das lokale und regionale Handwerk und Gewerbe wäre das geradezu ideal.
Die Vernetzung von Handwerk, Architekten,Baufirmen, Energieberatern zum Nutzen eines Bauherren scheint in Deutschland verbesserungswürdig zu sein.
Die Handwerksordnungen müssen gewerkeübergreifend möglich werden. Dass sowohl Dachdecker, Elektriker und Installateure gleichzeitig und koordiniert arbeiten können. Das ist der gewerkeübergreifende Handwerksbetrieb. Für die Zukunft des Handwerks ist das von großer Bedeutung. Sich dagegen zu stellen ist kurzsichtig und verhindert viel.
In Deutschland kann man noch heute Architekt werden, ohne in der Ausbildung in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz geprüft worden zu sein.
Die Prüfungsordnung muss entsprechend gestaltet werden. Die Vielfalt und Bedeutung dieses Energiewechsels wird nicht verstanden. Das partikulare Denken hat sich eingeschlichen und hierbei muss man aber in Zusammenhängen denken. Es gibt aber auch junge Architekten, die sich durch Eigeninitiative das Wissen aneignen, weil sie den Mangel in der Ausbildung sehen. Das Einbeziehen der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz muss im Grunde genommen längst ein verbindliches Ausschreibungskriterium für alle öffentlichen Bauausschreibungen sein. Jemand, der das nicht in seinem Angebot hat, fällt von vorne herein raus.
Wie lange werden wir noch auf unsere fossilen Energien zurückgreifen können,wenn der Verbrauch ungehemmt weiter geht?
Wenn wir weiter so verbrauchen, kann das Erdöl in weniger als einem Viertel Jahrhundert zu Ende sein. Bei Erdgas haben wir auch keine längeren Zeiträume. Die Zeiten bei Kohle sind viel kürzer als immer gesagt wird. Und bei Uran sowieso.
Wie wohnen wir in der Bundesrepublik in zwanzig Jahren? Was wird sich geändert haben, was wird bleiben?
Es wird sich viel geändert haben, da bin ich relativ sicher, auch wenn es viele Trägheitsmomente gibt, die durch eindimensionale Ausbildungen hervorgerufen sind. Aber die Entwicklung ist gar nicht aufzuhalten. Die herkömmlichen Energiepreise werden steigen und steigen. Die Beispiele werden sich mehren, wie man dieser Falle entgehen kann.
Heißt das, die Endlichkeit der fossilen Energien und vor allem die steigende Preise sind der Motor, der den einzelnen antreibt, auf erneuerbare Energien umzusteigen?
Das ist ein Motor aber nicht der einzige. Zu wissen, dass es anders geht, ist eine große Motivation. Genug Umsetzer zu haben im Bereich der Architekten, Bauingenieure und Handwerker, Wirtschaft und Politik ist mit entscheidend. Es gibt ja heute schon Beispiele,wie etwa die Solarsiedlung in Freiburg, die zeigen, dass der Umstieg sich rechnet und funktioniert. Der Architekt Rolf Disch rechnet doch genau vor, dass es billiger ist und nicht teurer. Es gibt ja Innungen, die sich schon darauf einstellen und Weiterbildungen anbieten.
Irgendwann muss es eine allgemeine Regelung geben für die Ausbildungen, sonst bleibt die Entwicklung stehen. Im Bereich des Handwerks ist eine zertifizierte Zusatzausbildung notwendig, zum Beispiel hin zum Solarteur. Viele Leute haben ihren angestammten Handwerker. Wenn der das aber nicht gelernt hat und die Kunden danach fragen, schickt der seine Kunden nicht zur Konkurrenz und sagt: „Ich kann das doch nicht.“ Er wird sagen: „Noch Zukunftsmusik, ist noch nicht so weit, rechnet sich nicht.“ Es gibt auch Möglichkeiten der breiten Motivierung dadurch, dass man eine Trennung vollzieht zwischen einer obligatorischen Energieberatung und der handwerklichen Umsetzung. Es gibt viele Handwerker, die wollen die Energieberatung selber übernehmen. Dann beraten sie aber nach ihren eigenen Kapazitäten.
Die Frage ist, wer macht die obligatorische Energieberatung? Dafür gibt es einen Berufsstand, der dafür ideal geeignet wäre, der sich auch um seine Zukunft Gedanken machen muss – das ist das Schornsteinfeger Handwerk. Die kennen alle Häuser. Sie sind aber keine Handwerker, wenn es um die Umsetzung geht. Dieser Berufsstand kann dafür bezahlt werden, dass er regelmäßige Energieaudits durchführt. Wenn dies obligatorisch wird, verändern sich die Aufgaben der Schornsteinfeger komplett. Ich habe mit verschiedenen Innungen schon gesprochen. Die sind begeistert von dieser Idee. Das sichert ihnen ihre Zukunft. Sie werden irgendwann später nicht mehr Schornsteinfeger heißen sondern Energieberater.
Ich bin mir absolut sicher, dass die erneuerbaren Energien in der Zukunft die Sieger sein werden. Das ergibt sich schon aus der Erschöpfung der herkömmlichen Energiepotentiale. Ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, in der nur noch erneuerbare Energien eingesetzt werden. Diese Frage ist physikalisch entschieden. Es war von Anfang an klar, dass die herkömmliche Energieversorgung nur ein Provisorium ist. Der Wechsel zu den Erneuerbaren bedroht die Energiewirtschaft, denn es ist nun mal nicht möglich von der Rolle des Lieferanten von Erdgas, Erdöl, Kohle und Uran zum Verkäufer von Sonne, Sonnenstrahlen und Wind zu wechseln. Die Großen haben immer gemauert und die erneuerbaren Energien denunziert. Dann kamen die Gesetze und immer mehr Initiativen in der Gesellschaft. Die Begründung, dass es gar nicht geht, war damit hinfällig. Als der Zug dann an Fahrt aufgenommen hat, sind die großen Versorger aufgesprungen. Denn nur wer selbst im Zug sitzt, kann ihn auch bremsen.
Das Interview führte Gabriele Neimke für das greenhome Magazin