So geht Recycling

Wirklich ökologische Baustoffe müssen natürlich und voll recyclingfähig sein. Zwei Vordenker, zwei Gespräche, eine verbindende Idee für nachhaltige Produkte.

Vor mittlerweile zwei Jahrzehnten, genauer im Jahre 1991, entwickelte Prof. Dr. Michael Braungart zusammen mit seinem Partner, dem US-amerikanischen Architekten William McDonough in den USA den Cradel-to-Cradel-Designansatz, kurz c2c. Übersetzt bedeutet das „von der Wiege bis zur Wiege“. Ziel ist es, qualitativ hochwertige und für Mensch und Natur sinnvolle Produkte zu entwickeln. Der Grundgedanke dieses Designkonzepts für Produkte und Produktionsprozesse ist, dass Materialien einem immerwährenden Kreislauf zugefügt werden und Menschen und Produkte nützlich für Gesellschaft und Natur sind. Im Gespräch erklärt Professor Baumgart, was c2c speziell für den Eigenheimbau bedeutet und was ein Bauherr bei der Planung und bei der Umsetzung seines zukünftigen Zuhauses beachten kann.

Herr Prof. Braungart, was genau ist mit dem Cradel-to-Cradel-Ansatz gemeint?
Zunächst betrachtet c2c alle Produkte in Materialkreisläufen. Diese können aus natürlichen Nährstoffen oder aus technischen Nährstoffen bestehen. Natürliche Materialien, sogenannte biologische Nährstoffe, produzieren keinen Müll, sondern kehren als Nährstoffe in den natürlichen Kreislauf zurück. Technische Material-Kreisläufe entstehen, wenn Materialien so konzipiert sind, dass sie fortwährend in den geschlossenen industriellen Kreisläufen wiederverwendet werden. Je reiner Materialien sind, desto besser ist das möglich. Ziel des Ganzen ist es, Ressourcen sinnvoll und immerwährend zu verwenden und somit keinen Müll zu produzieren.

 

Sie sagen, Sie wollen keine Nachhaltigkeit, sondern qualitativ hochwertige Lösungen für die Zukunft. Wie kommt es zu diesem Ansichtswandel des Mitbegründers des amerikanischen Nachhaltigkeitszertifikats LEED?
Der Begriff Nachhaltigkeit ist an sich eine deutsche Erfindung aus dem Jahre 1712, als der deutsche Wald weitgehend abgeholzt war. Die Menschen reagierten damals mit der Romantisierung der Natur, des Waldes. Sie besangen ihn in Liedern und machten den Wald dadurch wertvoll. Dann führten sie rückwirkend den Begriff der Nachhaltigkeit ein und forsteten die Flächen wieder auf. Dieses Wertvollsein der Natur ist eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen und zukunftssichernden Umgang damit. Es geht jedoch darum, nicht nur weniger zu zerstören, so wird Nachhaltigkeit oft verstanden, sondern Lösungen zu entwickeln, die positiv wirken.

Sie impulsieren oft, beispielsweise behaupten Sie, eine Mutter könne sich mit dem Stillen entgiften.
Das stimmt. Häufig fragen die Menschen nicht so detailliert nach und bleiben dann bei überraschenden oder schockierenden Beispielen hängen. Muttermilch ist schadstoffbelastet. Die Leber der Kinder, das ist ein natürlicher Mechanismus, verstoffwechselt diese Schadstoffe neun Monate lang nicht. Deshalb auch der Hinweis des neunmonatigen Stillens. Ich jedoch strebe wirklich sinnvolle Lösungen an und frage: Woher kommen alle diese Schadstoffe? Unsere Untersuchungen der Raumluft, von Böden und im Wohn- und Bürobereich verwendeten Materialien ergaben, dass diese voll von Schadstoffen sind. Tapeten beispielsweise sind oft voller Weichmacher.

Sie äußern sich über den Sinn und Unsinn von Passivhäusern. Was meinen Sie damit?
Das hochgedämmte Passivhaus betrachte ich deshalb kritisch, weil eine große Menge Dämmmaterial anfällt, das chemisch betrachtet meist schwierig ist. Zweitens zeigen Messungen der Innenraum-Luftqualität, dass diese in versiegelten Passivhäusern oft schlechter ist als in der Innenstadt. Das liegt an der Ausgasung von im Innenbereich verwendeten Materialien.

Was kann der c2c-Ansatz verändern?
Wir leben in einer Informationsgesellschaft und sind intelligent genug, sinnvolle, kreative Lösungen zu entwickeln. Mit Passivhäusern machen wir sozusagen „die falschen Dinge perfekt und damit perfekt falsch“. Nachhaltigkeit und das meiste, was wir im Sinne der Nachhaltigkeit tun, ist für mich ein Beispiel dafür. Wir bemühen uns, weniger schädlich zu sein. Das reicht jedoch nicht aus. Ziel ist es, wirkliche Qualität zu produzieren. So unterscheidet der c2c-Ansatz denn auch eco-effiziente und eco-Effektive Lösungen. Letztere sind die hochqualitativen, sinnvollen Lösungen.

Was bedeutet der c2c-Ansatz für den Hausbau, für die Bauherren?
Zunächst einmal ist es bis zum c2c-Haus noch ein weiter Weg. Aktuell besteht ein Haus aus ca. 800–900 Bestandteilen. Abgesehen von reinen Holz- oder Glaskonstruktionen müssen wir an der Materialreinheit arbeiten. Das bedeutet erst einmal, dass wir sinnvolle und qualitativ hochwertige Materialien entwickeln müssen, die sowohl von der Reinheit als auch vom Energiekonzept her langfristig sinnvoll sind. Der Bauherr sollte sich Fachfirmen und Architekten suchen, die mit den Themen Materialreinheit, c2c und hochgradige Eigenversorgung mit Strom und Wärme vertraut sind. Das stellt die Wirtschaft und den Eigenheim-Bauherren vor Herausforderungen und erfordert bisher noch einige Anstrengungen der Informationssuche. Auch zeigen Länder wie beispielsweise die Niederlande, deren Regierung sich das Ziel gesetzt hat, bis 2020 eine c2c-Nation zu werden, dass das machbar ist. Wir führen dort Bauprojekte im Gewerbebau durch, bei denen c2c-Prinzipien berücksichtigt werden.

Sie fordern, dass wir Besitz und Dienstleistung neu überdenken. Was ist darunter zu verstehen?
Für viele Produkte kann es sinnvoll sein, Dienstleistungskonzepte für deren Verwendung zu entwickeln, statt diese zu verkaufen, weil diese dann besser recycelt werden können oder der Hersteller die Verantwortung für die Materialbestandteile übernimmt. Beispielsweise kauft so betrachtet ein Bauherr kein Fenster als Produkt, sondern 15 Jahre Schalldämmung und Ausblick. Auch für Solaranlagen, Armaturen etc. ist das denkbar. C2c bedeutet, dass Hightech, Forschung und die freie Marktwirtschaft nicht mehr nur zur Gewinnabschöpfung genutzt werden, sondern zur Entwicklung wirklicher Lösungen für eine nachhaltige Gesellschaft. C2c fördert die Entwicklung intelligenter Materialien und Produkte, die Sinn machen. Innovation geht über den Selbstzweck hinaus und erzeugt Mehrwert für die Gesellschaft.

Wie sieht es mit dem c2c-Ansatz in der Praxis aus? Ein gelungenes Umsetzungsbeispiel zeigt Timo Leukefeld, Experte für Energiekonzepte, speziell Solarthermie und Photovoltaik, mit dem EnergieAutarkHaus der HELMA Eigenheimbau AG. Leukefeld ist Honorarprofessor für Solarthermie an der Berufsakademie Glauchau und lehrt an der TU Bergakademie Freiberg. Der Dozent kooperiert mit Michael Braungart und entwickelt die energetische Perspektive des, wie er es bezeichnet, stofflich geprägten c2c-Ansatzes weiter. Im Gespräch erläutert Leukefeld, wie der Cradel-to-Cradel-Ansatz Planung und Umsetzung des Einfamilienhauses von HELMA in Lehrte, Niedersachsen, beeinflusst hat.

Prof. Leukefeld, wie kamen Sie zu Cradel-to-Cradel?
Meine Partnerin ist Moderatorin. Eines Tages moderierte sie ein Podium, an dem Prof. Braungart teilnahm. Sie erzählte mir von c2c. Ich nahm Kontakt mit Prof. Braungart auf und lud ihn an die Universität Freiberg, Sachsen ein. Er hielt dort einen Vortrag und dann flogen im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen. Die Studenten waren begeistert, die Professoren, die Wissenschaft, war erst einmal schockiert. Prof. Braungart lebte sehr lange in den USA und versteht es, Inhalte unterhaltend und begeisternd zu präsentieren. Das erschüttert zusätzlich zur Herausforderung des Ansatzes die deutsche Wissenschaft, die sich auf Sachlichkeit konzentriert. Wir halten gemeinsam Vorträge und arbeiten an Projekten.

 

Was bedeutet c2c für den Eigenheimbau?
Die Verwendung möglichst schadstofffreier Materialien, deren Funktionen und Fähigkeiten eine intelligente Synergie ergeben. Es gibt bereits einige Materialien, die schadstoffarm, vor allem aber auch sehr gut wiederverwendbar sind. In der Umsetzung des Baus eines Hauses ist das natürlich noch ein weiter Weg. Für das HELMA-Haus haben wir Hochtechnologie-Ziegel verwendet, die mit einem Granulat gefüllt sind, ohne weitere Dämmung. Die Ziegelwand hat einen U–Wert von 0,18 W/m2K. Damit liegen wir 30 Prozent unter der EnEV 2009. Wichtig ist, dass das gesamte Hauskonzept eine Synergie ergibt, also auch das Energiekonzept entsprechend passt und Hightech sehr gezielt und bewusst eingesetzt wird.

Ich selbst plädiere für die Kombination von Solarthermie zur. Erzeugung von Heizenergie und Warmwasser mit einer PV-Anlage zur Stromerzeugung. Das Heizen mit der Sonne anstatt mit Strom mittels Wärmepumpe ist eine grundlegende Voraussetzung für eine hohe Eigenversorgung mit Solarstrom und ermöglicht sogar die Autarkie. Dadurch wird besonders der Stromverbrauch stark gesenkt, ohne sich beim Komfort einschränken zu müssen. Strom zum Heizen ist zu kostbar. Im Innenbereich haben wir luftreinigende Wandfarbe verwendet und einen Feinstaub absorbierenden Teppichboden von Desso.

Wann wird der erste Besitzer in ein EnergieAutarkHaus einziehen?
2012 werden zwei Häuser gebaut. Die aktuellen Messungen im Musterhaus in Lehrte sind durchweg positiv. Das Haus erzeugt sehr viel mehr Energie, als es selbst benötigt. Wer sich für genaue Amortisationsrechnungen interessiert, wendet sich am besten direkt an den anbietenden Bauträger. Langfristig betrachtet ist dieses Haus und Energiekonzept, das zeigt die Amortisationsrechnung, auch eine sichere Geldanlage. Solarthermieeinsparungen müssen beispielsweise nicht versteuert werden. Die Sonnenheizung aufdrehen und trotzdem sparen, das ist intelligentes Verschwenden. Die Bewohner eines solchen Sonnenhauses belasten weder die Umwelt noch ihren Geldbeutel, sind unabhängig und können sich vom Stromnetz trennen – müssen es aber nicht.

Die Interviews führte Elke Kuehnle für das greenhome Magazin

Fotos: EPEA

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert