Das Strohballen-Haus

Architekt Dirk Scharmer hat ganz klare Vorstellungen von seinen Häusern. Sie müssen umweltschonend im Aufbau und im Alltag sein. Stroh spielt dabei eine wichtige Rolle.

Holz, Lehm, Stroh – das sind drei Baumaterialien, mit denen Dirk Scharmer besonders gerne arbeitet. „Der Clou liegt für mich in der Kombination“, sagt der im niedersächsischen Südergellersen beheimatete Architekt. Die Dinge, findet Scharmer, bekommen mehr Sinn, wenn man sie zusammen betrachtet: „Wenn man Stroh mit Lehm verputzt, wird daraus ein neues Material. Und wenn man eine Holzkonstruktion mit Stroh ausfacht, wird daraus ein völlig anderes Haus.“

Ein Haus namens Libelle
Das Bauen mit viel Holz, Lehm und Stroh war auch ein wichtiges Ziel beim Libelle genannten Haus, das Dirk Scharmer für das Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt plante. Die Bewohner der Siedlung in der Gemeinde Beetzendorf wünschten sich ein Wohn- und Gemeinschaftshaus das ihrem Anspruch an ökologisches Bauen gerecht werden sollte. Und so nahm das Haus namens Libelle Schritt für Schritt Gestalt an. „Anfangs waren die beiden Projektiniatorinnen, ein Lehmbauer und ich beseelt von der Idee einer sehr organischen Architektur“, erinnert sich Dirk Scharmer. Zwei ovale Baukörper mit einem Mittelbau aus einem Treppenhaus waren geplant, dazu ein sehr großer Solarspeicher – von oben betrachtet hätte das Gebäude so die Form einer Libelle gehabt, daher auch der Projektname. Doch mit der Zeit verschob sich der Schwerpunkt immer mehr weg von dem Ziel ausgefallener Architektur in Richtung Energie- und Kosteneffizienz.

„Dem fielen die Rundungen und die Aufgliederung des Vorentwurfs zum Opfer. Stattdessen entstand ein Baukörper der rationelle Fertigung und eine energiesparende Kompaktheit mit hoher aktiver und passiver Solarnutzung vereinte“, sagt Dirk Scharmer. Das Aus für die ausgefallenen Rundungen war für den Architekten aber keine Katastrophe. „Jedes Bauvorhaben trägt immer beides in sich. Ein bisschen Träumerei und ein bisschen Enttäuschung über Kompromisse“, findet er. Auch einschränkende Bauvorgaben empfindet Scharmer nicht als schlimm, tragen sie doch im Kern Richtiges und Bewährtes in sich. „Die Hauptfeinde sind das Geld, das Wetter, Schwerkraft“, lacht der Architekt.

Mit Mut zum ökologischen Bauen
Schwierig werden unkonventionelle Lösungen, wenn den Bauherren der Mut fehlt. „Ich hatte hier viel Glück“, freut sich Dirk Scharmer. Denn die Wohnungsgenossenschaft Sieben Linden trug mit ihrem ökologischen Anspruch ausgefallene Lösungen mit, ja forderte sie sogar. „Das Ökodorf hat sich selbst eine Art kleine Bauordnung auferlegt, mit der es eine möglichst zukunftsweisende, ökologische Entwicklung sicherstellt“, erklärt Scharmer, der bereits während seines Studiums mit der Siedlung zusammenarbeitete.

Später nach der Ausbildung folgten von ihm geplante Wohnhäuser in zellulosegedämmter Holzrahmenbauweise für die Siedlung. Dann kamen mehrere Strohballenbauten und zuletzt das Haus Libelle. Dessen kompakter Baukörper sollte Energieeinsparungen, insbesondere durch die aktive und passive Nutzung der Sonnenkraft, ermöglichen. Deshalb wurde das Gebäude auch konsequent nach Süden ausgerichtet, mit Glasfassade und Solaranlage über die gesamte Gebäudelänge. Die solarthermischen Module liefern auf einer Fläche von fast 70 Quadratmetern Wärme für das Haus. Ergänzt wird die Anlage von einem Holzvergaserkaminofen im Gemeinschaftsraum. „Die Speicherung erfolgt in einem 13 Kubikmeter großen Wasserspeicher. Die Solarwärme wird zusätzlich im Erdreich unter dem Gebäude gespeichert und die Wärmeabgabe erfolgt über Heizkörper“, erklärt Scharmer die Heiztechnik.

Gut gedämmt, natürlich gebaut
Damit die Wärme nicht einfach verloren geht, plante der Architekt angesichts der großen Glasflächen konsequent dreifachverglaste Fenster ein. Auch die Dämmwirkung des Strohs senkt den Verbrauch stark, sagt Dirk Scharmer. Vom Bauen mit Stroh ist der Architekt überzeugt, genauso wie von Lehm und Holz. Natürlich seien Stroh und Holz empfindlich gegen Feuchte. Und sicher sei Lehm nicht so wetterfest und stabil wie konventionelle Baustoffe. „Aber natürlich bauen, heißt eben auch bauen mit der Natur, in Beziehung zu ihr. Das ist nie nur ein Spiel gegen die Vergänglichkeit, sondern auch eins mit ihr“, hält Scharmer dagegen. „Wie viel Festigkeit, Widerstandsfähigkeit, Tragfähigkeit brauchen wir wirklich? Und um welchen ökologischen und finanziellen Preis? Ich bin fest überzeugt, dass es eine große, sichere bauliche Realität für Holz, Lehm und Stroh gibt“, sagt der Architekt.

Erfolgreiche Zusammenarbeit
Realität wurde das Haus Libelle im Zeitraum von März 2010 bis Dezember 2012. Dabei sollte auch die Bauphase möglichst natur- und ressourcenschonend ablaufen. Es wurden regionale Materialien und Baupartner bevorzugt, Bauschutt, Müll und Lärm so gut es ging vermieden. Und noch etwas war Dirk Scharmer auf der Baustelle nach eigenem Bekunden wichtig: „Zeit für das gegenseitige Verständnis und voneinander Lernen, statt autoritärem Architektengehabe.“ Eine gute Zusammenarbeit war auch nötig, weil der verregnete Mai 2010 den Aufbau erschwerte. Den Schutzbedarf der vorgefertigten strohgedämmten Außenwände hatte man angesichts der Regenmassen unterschätzt. „Mit dem Ergebnis, dass einige Quadratmeter nasses Stroh ausgetauscht werden mussten“, erinnert sich Dirk Scharmer.

Unerwartete Lerneffekte
„Zu Beginn des Baus waren wir alle sehr davon überzeugt, dass die Zukunft der Strohballenbauweise in der Vorfertigung der Strohballenwände einschließlich Stroheinbau liegt“, sagt Scharmer. Nach dem unfreiwilligen Austausch des nassen Strohs an den stehenden Wänden sei aber deutlich geworden, dass der Einbau an der Wand mindestens ebenbürtig ist. „So wird aus Pech und Pannen ein interessanter, unerwarteter Lerneffekt“, schmunzelt der Architekt. Auch das Zusammenspiel von tragendem, massivem Innenmauerwerk mit der restlichen Konstruktion aus Holz gelang anfangs nicht reibungslos und kostete Nerven. Logistischer und zeitlicher Aufwand waren groß. „Hier würde ich nächstes Mal wieder erst das Dach über dem Kopf fertigstellen und dann die Innenwände im Trockenen nach Fertigstellung des Holzbaus herstellen“, ist sich Dirk Scharmer sicher.

Tradition und Hightech
Rund 10 Prozent teurer als konventionelle Gebäude ist ein Haus in Strohballenbauweise und das aus gutem Grund. „Strohballenbauten kosten in der Regel mehr Geld, weil sie handwerklich aufwendiger sind, auf hochwertige natürliche Materialien und besonders energiesparende Technik setzen“, erklärt Dirk Scharmer. Traditionsreiche Baustoffe wie Lehm oder Stroh mit antiquierten Methoden gleichzusetzen ist nämlich ein Fehler. Das zeigt das Strohballenhaus Libelle mit der solarthermischen Anlage ebenso wie mit seiner Lüftungsanlage samt Wärmerückgewinnungs- funktion. Das Hightech senkt den Lüftungswärmeverlust laut Scharmer um 80 bis 90 Prozent.

Rechenspiele und Fakten
Den jährlichen Holzbedarf zum Zuheizen neben der Solaranlage hatte das Projektteam auf weniger als vier Kubikmeter Brennholz geschätzt. „Im ersten Winter wurde dies deutlich überschritten, weil das Gebäude und die Solaranlage noch nicht von einem Sommer aufgewärmt waren“, sagt Scharmer. Im zweiten, relativ milden Winter waren es dann nicht mehr als vier Kubikmeter. Und da war die Regelung des Wärmespeichers im Zusammenspiel mit Solaranlage und Holzofen noch nicht optimal. „Bei optimaler Regelung in einem kalten Winter mit durchschnittlich viel Sonne dürfte sich der Wärmebedarf für das Gebäudes auf unter 4 Kubikmeter Brennholz einpendeln – und das bei 315 Quadratmeter Nettogrundfläche und zehn Personen. Der anfangs angepeilte Nullverbrauch an Holz hat aber bislang noch nicht geklappt. „Ob es an der Regelung liegt, an ein paar fehlenden Sonnenstunden in den bisherigen beiden Wintern oder an konzeptionellen Schwächen ist noch zu klären “, sagt Dirk Scharmer.

Zu viel Sonne, zu viel Wärme?
Ein kleines weiteres Manko sei je nach Sonnenlage zu beobachten: „Manchmal im Frühjahr und Herbst werden einige Räume des Hauses bedingt durch die tiefstehende Sonne recht warm.“ Andererseits, so Scharmer,  sind sich die Bewohner einig, dass der eigentlich eingeplante Sonnenschutz nicht nötig ist. Auch der Holzvergaserkaminofen gibt mehr Wärme an den Aufstellraum ab als geplant. „Zum einen ist der Raum, bezogen auf die gute Wärmedämmung, mit rund 34 Quadratmeter recht klein. Zum anderen musste der Kaminofen, wohl auch wegen einer nicht optimalen Regelung an kalten trüben Tagen, öfter angemacht werden“, fasst der Architekt zusammen.

Jenseits nüchterner Kostenkalkulationen
Aber an Dirk Scharmers Überzeugung ändern diese Kleinigkeiten nichts. Konventionelle Bauweisen mögen günstiger sein. „Aber meine Strohballenbauten setzen weitestgehend auf natürliche Baustoffe“, sagt der Architekt nicht ohne Stolz. Es gibt kein PVC und andere Kunststoffe findet man nur dort, wo es derzeit noch keine sicheren Alternativen gibt. Luftdichtungen, Feuchtebremsen oder Dichtungen sind bislang noch solche Anwendungsgebiete. Auch möglichst wenig Beton oder andere energieintensive Baustoffe kommen zur Anwendung. Und wie sehen Scharmers künftige Projekte aus? Sie scheinen ganz neue Dimensionen anzunehmen.

Da wäre aktuell ein besonders hohes Gebäude, der 4,5-Geschosser, wie ihn der Architekt nennt. Über vier Stockwerke für ein Strohballengebäude werden am Ende bezugsfertig sein. Und für die Zeit danach hat Dirk Scharmer auch schon geplant. Zunächst möchte er die dreigeschossige Strohballenbauweise weiter optimieren. „Auch die lasttragende Bauweise mit großen Quaderballen geht mir noch nicht ganz aus dem Kopf. Für ersteres suche ich Auftraggeber letzteres wird wohl eher wie mein allererstes Strohhaus zunächst ein Selbstversuch.“

Fotos: Dirk Scharmer

Das könnte dich auch interessieren …

2 Antworten

  1. 28. Juli 2014

    […] nötig. Eines dieser Häuser steht im Ökodorf Sieben Linden in Sachsen-Anhalt, wie das Magazin „Greenhome“ berichtet. Die naturnahen Bewohner nennen es liebevoll […]

  2. 9. März 2017

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert